Ein Märchen für Erwachsene und Kinder
über Wahrheit, Einigkeit, Freiheit und Würde

 

 

Es war einmal . . . .

. . . . ein wunderschönes Schloß um das herum alles blühte und wohl gedeihte, in den gepflegten Schloßgärten und auf den Äckern die von den Bürgern des Schloßlandes gehegt und gepflegt wurden. Die Sonne schaute gern auf das Land und so ist die Ernte reichlich die die Schloßlandbürger einfahren. Die Ernte ist sogar so reichlich, daß sie Gäste aus anderen, ärmeren Ländern einladen, mit ihnen zu feiern und mit ihnen zusammen die Felder zu bestellen. Die Kinder sind fröhlich und sie spielen und singen miteinander und die Eltern freuen sich ihre Kinder lustig und glückselig um sich zu haben. Auch die Eltern sind glücklich, denn die Arbeit die sie tun, die tun sie gern weil jeder die Arbeit tun kann die er sich immer gewünscht hat. Der eine als Gärtner oder Zimmermann, andere als Schmied oder als Schreiber in der Amtsstube.

Eines Tages, es war einer dieser Tage an denen man meint, daß die Sonne ganz besonders scheint, betritt plötzlich eine Frau das Schloß, die niemand zuvor gesehen hat. Selbst die Ältesten und Klügsten unter den Schloßlandbürgern hatten nie etwas von der Frau gehört oder sie gar gesehen und niemand hatte sie eingeladen. Doch die Frau war freundlich und sie schien allwissend zu sein. Sie war nett zu allen Bürgern und so fingen die Bürger an der Frau zuzuhören und schließlich, nach nicht allzulanger Zeit, wenn die Frau jemanden um einen Gefallen bat, so tat er es gern und dachte sich nichts böses dabei.

Dann jedoch fing die Frau an über den einen Schloßlandbürger gut, aber über einen anderen Bürger schlecht zu sprechen. Und da die Schloßlandbürger inzwischen der Frau glaubten und vertrauten, glaubten sie der Frau auch die bösen Behauptungen die sie über Nachbarn und Arbeitskollegen sagte - und ja - sie glaubten sogar die bösen Dinge, die die Frau über die eigenen Familienmitglieder der Bürger sagte.

Und so dauerte es nicht lange, da machte sich in dem wunderschönen, friedlichen und gepflegten Schloßland ein böser, dunkler Geist breit. Die Bürger fingen an, sich untereinander nicht mehr zu vertrauen. Sie begannen sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen, - ja, sie fingen sogar an, sich zu bekämpfen. Zum Beipiel: wenn einer nicht einen mindestens 20 Kilogramm schweren Stein mit sich herumtrug, so wie es die Frau jedem Schloßlandbürger inzwischen empfohlen hatte. Keiner wußte zwar, warum sie die schweren Steine immer bei sich tragen sollten, aber sie taten es, weil die Frau ihnen dazu riet und sie ihr vertrauten. Wenn jedoch ein Bürger nicht gehorchte, dann zwangen ihn die Spießgesellen der Frau, es doch zu tun. Die Frau hatte nämlich, ganz unbemerkt von den Schloßlandbürgern dunkle Gestalten um sich versammelt, die ihr bedingungslos gehorchten und sofort jeden Bürger angriffen der nicht tat, was die Frau verlangte. Schon bald hatten die Bürger Angst vor ihren eigenen Nachbarn, daß diese sie beschimpfen, ausgrenzen oder an die Frau verraten würden, wenn sie ihren Stein nicht tragen. Deshalb nahmen sie große Schmerzen in Kauf die immer schlimmer wurden, je länger sie den schweren Stein mit sich trugen.

Die Bürger gingen schon bald nicht mehr aufrecht durchs Leben, sondern gebückt, mit krummen Rücken und zu ängstlich und schwach um noch arbeiten zu können. Bald trugen alle immer und überall Steine mit sich und die Schloßlandbürger hofften, daß die Frau nun zufrieden sein würde und bald wieder alles gut wäre, denn die Frau sagte immer wieder: „Das ihr die Steine tragt, ist nur zu eurem Besten –  denkt nicht darüber nach, vertraut mir einfach, jeder muß einen Stein tragen - alles ist nur zu eurem Besten!“.

Die Bürger folgten der Frau, weil sie schnell wieder arbeiten wollten und ihr Leben wieder so schön wäre wie es einmal war. Denn sie sahen, daß das Schloß und das ganze Land drumherum immer mehr litt. Das Schloß verfiel, die Fassaden bröckelten ab, das Dach war inzwischen undicht geworden, Fenster, die die Frau zersplittert hatte, konnten sie nicht ersetzen, die Felder verwahrlosten und es konnte keine Ernte eingefahren werden und gräßliche Gerüche überzogen vom Schloß her das ganze Land. Das einst so reiche und schöne Schloßland war schmutzig und so arm geworden, daß es die Schloßlandbürger nicht mehr ernähren konnte.

Die Frau jedoch störte das nicht. Mit einem Gefallen hier und einem Gefallen da, den ihr die Schloßlandbürger getan hatten, hatte Sie sich einen großen Vorrat angelegt. Davon lebte sie und diejenigen, die besonders unterwürfig waren und besonders grausam zu den Schloßlandbürgern, die durften mit ihr feiern und in Saus und Braus mit ihr im Schloß, das ja eigentlich den Schloßlandbürgern gehört, leben. Die Frau und ihre Spießgesellen waren inzwischen fett und rund geworden und jeder von ihnen hatte sich bereits aus der Schloßschatzkammer eine große Kiste Gold und Edelsteine geklaut, so viel, daß die Schatzkammer der Bürger inzwischen leer war.

Doch trotzdem die Bürger jeden Tag sahen, wie ihr Schloß und ihr Land immer mehr zerfiel und all ihre Vorräte zunichte gemacht wurden, wie die Frau und ihre Spießgesellen sich an dem Reichtum ihres Landes, des Schloßlandes, vergriffen, glaubten sie nicht, was sie sahen. Die einen, weil sie es nicht für möglich hielten, daß die Frau und ihre Spießgesellen sie tatsächlich so skrupellos belügen würden und all das Leid, das die Frau auf sie geladen hatte, doch nicht zu ihrem besten war. Die anderen wollten sich nicht eingestehen was sie sahen, weil sie sich schämten, daß sie einer Frau vertraut hatten, ohne vorher nach ihren Zielen und nach dem Grund und der Ursache für ihre Bitten um einen Gefallen und ihren Befehlen geforscht zu haben. Und sie schämten sich insgeheim für ihre Dummheit, ihre Faulheit und ihre Feigheit, sich nicht für ihre geliebte Heimat, ihr Schloßland, einzusetzen. Denn keiner traute sich aus Angst vor den Spießgesellen der Frau und ihren eigenen Nachbarn, als Erster den schweren Stein abzulegen, den jeder ja immer noch mit sich trug.

So verharrten alle Bürger in einer tiefen Starre. Es war soweit gekommen, daß die Schloßlandbürger sich selbst nicht mehr vertrauten. Die Würde eines jeden Schloßlandbürgers war gebrochen und es wurde im Schloßland auch am Tage Nacht.

Genauso wäre es wohl bis heute im Schloßland geblieben, wären da nicht, ja, wären da nicht die drei kleinen Lausbuben Oskar und Xavier und Ricardo gewesen. . . .

Aber alles der Reihe nach!

Auf dem Schloßland stand, gar nicht so weit vom Schloß entfernt, eine Burg. Sie war fest gemauert aus Wahrheit, mit Herz und Hand und deshalb uneinnehmbar. Nun ja, jedenfalls hatte es bis dahin noch niemand geschafft, die Burg einzunehmen. Bewohnt wurde die Burg von drei sehr, sehr alten weisen Männern. Der eine mit dem Namen Sucharit war vor langer Zeit aus dem fernen Asien ins Schloßland gekommen und hatte die besondere Gabe, Gerüche neutralisieren zu können und in Wahrheit umzuwandeln. Der zweite Weise, Wodarg, der Wikinger, der, ihr wisst es schon, aus dem hohen Norden kam, war ein sehr standhafter, listiger Kämpfer, der schon ganz oft die Lügen, die die Wahrheit eine Zeit lang verdecken können, entlarvt hatte. Der dritte Weise aber, er war der Jüngste von den Dreien, obwohl, er war auch schon mindestens zweihundert Jahre alt, hieß Carsten. Er war der Verteidiger der Menschenwürde, die die Schloßlandbürger, Du erinnerst Dich sicher, schon längst verloren hatten.

Aber nun zurück zu den drei Lausbuben Oskar, Xavier und Ricardo.

Sie waren schon ziemlich lange gute Freunde und hatten schon viele Streiche ausgeheckt. Aber nun kam vor ein paar Tagen der Befehl von der Frau mit den Spießgesellen, daß Freunde nicht mehr miteinander spielen, singen und schon gar nicht rumtoben dürfen. Die Frau wollte sogar, daß alle Kinder ab sofort auch einen schweren Stein mit sich tragen sollten. Und damit alle Kinder das auch tun, hatte die Frau gedroht, die Eltern zu bestrafen, wenn ihre Kinder ihr nicht gehorchen.

Oskar, Xavier und Ricardo waren sehr traurig über all das was sie sahen und hörten und beschlossen deshalb, sich nachts heimlich an einem geheimen Ort, den selbst ihre Eltern nicht kannten, zu treffen, um zu überlegen was sie tun könnten um ihren Eltern zu helfen. Und weil die drei schon oft Cowboy und Indianer und Räuber und Gendarm gespielt hatten, konnten sie sich auch verdammt gut aus dem Haus schleichen, ohne, daß die Eltern etwas merkten. Und so saßen die Drei, nachts, am geheimen Ort, eng beieinander und überlegten Nacht um Nacht, was sie als Kinder denn tun könnten um die Frau und ihre Spießgesellen zu vertreiben. Aber lange fiel ihnen überhaupt nichts Sinnvolles ein.

Dann aber, eines Nachts, hörten sie Kampfgetöse, das von der Burg herüberschallte. Plötzlich hatte Oskar eine Idee: „Was wäre,“ fragte er seine beiden tapferen Freunde, „wenn wir uns in die Burg schleichen und die drei Weisen fragen was wir denn machen könnten um unseren Eltern zu helfen. Vielleicht haben die drei Weisen eine gute Idee.“

Gesagt, getan! Schon in der nächsten Nacht machten sich die drei Freunde auf den Weg zur Burg, schlichen sich ganz vorsichtig und leise an den Spießgesellen der Frau vorbei, die immer noch vergeblich versuchten, die Burg zu stürmen und kamen tatsächlich unentdeckt in der Burg an. Die drei Weisen waren sehr erstaunt, über die drei Freunde, daß sie soviel Mut hatten sich ganz allein an den Spießgesellen vorbei, in die Burg zu schleichen. Als dann die drei Weisen die Bitte der Lausbuben gehört hatten, war es ihnen natürlich sofort klar, daß sie den drei Freunden helfen würden. Aber auch sie mußten sich ersteinmal untereinander beraten. Nach einiger Zeit kamen sie von ihrer Beratung zurück. Aber sie hatten ganz traurige Gesichter, weil auch sie keine Lösung gefunden hatten.

Und so starrten alle lange in dieser hellen Mondnacht vor sich auf den Boden und fingen fast an, zu verzweifeln. Da plötzlich, fragte Carsten, der tapfere Recke: „Oskar, was siehst Du vor Dir auf dem Boden?“ Nun, ganz ehrlich, Oskar sah nichts, außer den Pflastersteinen und vor seinen geistigen Augen ein großes Stück Kuchen, denn er hatte riesigen Hunger. „Schau genauer hin!“ bat Carsten den kleinen Oskar – und der schaute und schaute und schaute, aber vergebens. Doch dann plötzlich viel es ihm wie Schuppen von den Augen: „Doch klar, da bewegt sich was, was ist das nur?“ Nun sahen es Xavier und Ricardo auch: auf dem Boden vor Oskar, krabbelte eine Ameise hin und her, nein, es waren sieben Ameisen, nein stopp, es waren viele, viele Ameisen die da vor ihnen auf dem Boden krabbelten. Sie liefen gemeinsam in eine Richtung und transportierten zusammen ein riesengroßes Blatt in ihren Ameisenhügel. „Eine allein hätte das niemals geschafft!“ stellte Ricardo sofort fest. „Nur weil sie alle zusammen das Blatt getragen haben, konnten sie es transportieren!“ rief Xavier. „Das ist die Lösung!“ brach es aus Oskar heraus, begeistert und glücklich, „Wir rufen alle unsere Freunde und Freundinnen zusammen und zeigen der Frau und ihren Spießgesellen, daß wir viele sind, die sie nicht mehr mögen. Wir werden tanzen und singen und rumtoben! Und wenn wir ganz, ganz viele sind, vielleicht alle Schloßlandbürger zusammen, die der Frau nicht mehr gehorchen, dann werden wir wieder glücklich und zufrieden leben können!“

„Ja, das ist wirklich die rettende Idee!“ stimmten auch alle anderen zu. „Aber wie können wir die gräßlichen Gerüche aus Schloßland vertreiben, sie sind so dicht und überall und sie wechseln ständig, wie schaffen wir es, Lügen zu entlarven, damit sie die Wahrheit nicht verdecken und wie geben wir den Bürgern die Würde zurück?“ fragte Ricardo in die Runde.

Da standen die drei Weisen langsam auf, der Schein der Feuerstelle beleuchtete sie geheimnisvoll in der nächtlichen Dunkelheit und sie sprachen mit einer Stimme wie aus einer anderen Welt: „So höret unseren Rat an euch und alle Bürger des Schloßlandes: Die Schloßlandbürger werden durch den wiedergewonnenen Willen zur Einigkeit auf dem unerschütterlichen Fundament der Wahrheit ihre Freiheit wiedererlangen und durch die Bewahrung der Freiheit in Zukunft stets in Würde leben, wenn ihr die Angst besiegt!“

Die drei Freunde hatten verstanden. Die Wahrheit kann eine zeitlang von der Lüge verdeckt werden, aber sie stirbt niemals und ist deshalb ein unerschütterliches Fundament. Aber sie wußten auch, daß sie noch einen langen Weg vor sich hatten um alle Schloßlandbürger zu vereinigen, damit sie gemeinsam die Angst besiegen und das Ziel, die Freiheit und Würde zurückzuerlangen, erreichen. Brüderlich mit Herz und Hand gingen sie ans Werk. Sie trommelten all ihre Freunde zusammen: den Hendrik, Donald, Julian und noch viele viele mehr. Auch die Freundinnen Sarah, Alice und Beate machten mit und erzählten allen von dem Rat, den sie von den drei Weisen bekommen hatten. Jeder der Freunde und Freundinnen rief sofort seine eigenen Freunde und Freundinnen zusammen und erzählte den Ratschlag der drei Weisen auch ihnen weiter. Ganz schnell waren fast alle Schloßlandbürger einig. Natürlich gab es auch unter den Schloßlandbürgern den einen oder anderen, der immer noch Angst hatte, aber Oskar, Xavier, Ricardo und all ihre Freunde und Freundinnen hatten mittlerweile soviel Bürger zusammengetrommelt, daß es die Frau und ihre Spießgesellen selbst mit der Angst bekamen.

Auch die drei Weisen unterstützten die Schloßlandbürger mit all ihren Kräften:

Sucharit gelang es nach und nach die Gerüche die im Land wabberten, zu neutralisieren und in die Wahrheit zu verwandeln.
Wodarg, der Wikinger, konnte eine Lüge nach der anderen aufdecken und schaffte es sogar, einen Lügenwert von „0“ zu erreichen, weil keiner sich mehr traute zu lügen. Jeder wußte, daß er es dann mit dem Wikinger zutun kriegt. Und das wollte wirklich keiner.
Carsten, der tapfere Recke, ersann einen Plan, wie die Bürger in Einigkeit, Wahrheit und gegenseitigem Vertrauen die Spießgesellen und die Frau vertreiben können und alle Schloßlandbürger ihre Freiheit und ihre Würde zurückbekommen. Fortan war er der Hüter der Freiheit und der Menschenwürde im Schloßland.

Und schon bald konnten die Schloßlandbürger ihr Schloß wieder in neuem Glanz erstrahlen lassen, sie bestellten die Gärten und Äcker neu und nach harter Arbeit in Einigkeit, konnten sie die ersten Ernten wieder einfahren. Die Sonne schaute wieder gern auf das Land der Schloßlandbürger und sie lebten glücklich und zufrieden in Würde und Eingkeit und Recht und Freiheit